Stellungnahme
Das Cannabisgesetz – Konsequenzen für die Suchtprävention
Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Prävention NRW, der Zusammenschluss der Präventionsfachkräfte in Nordrhein-Westfalen
Präambel
Am 01. April 2024 ist mit dem Cannabisgesetz (CanG) die regulierte Freigabe von Cannabis an Erwachsene zu nichtmedizinischen Zwecken in Kraft getreten. Dies spiegelt den Cannabiskonsum als gesellschaftliche Realität wider. Um den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sicherzustellen, müssen zielgruppenspezifische Informations-, Beratungs- und Präventionsmaßnahmen verbindlich umgesetzt werden.
Die Ziele wirksamer und nachhaltiger Prävention liegen in effektiver und schadenfreier Verhaltensänderung. In diesem Sinne setzt die Europäische Gesellschaft zur Präventionsforschung (EUSPR)[i] auf wissenschaftsbasierte, sichere und evaluierte Methoden und Programme, die nicht auf Risiken und Gefahren sowie Abschreckung fokussieren.
Die Fachkräfte für Suchtprävention sowie die Fachkräfte der ambulanten Drogenhilfe sind qualifiziert für Konzeptualisierung, Umsetzung sowie Überprüfung von Angeboten und Maßnahmen. Sie verfügen über langjährige Erfahrungen, Expertise und die örtliche Vernetzung in der Beratungs- und Präventionsarbeit.[ii]
Eine stabile und nachhaltige Präventionsarbeit benötigt ebenso eine stabile sowie gesicherte Finanzierung der regionalen Fachstellen. Jegliche Kürzungen stehen daher in völligem Widerspruch zu den von ihnen erwarteten neuen Aufgaben und Anforderungen. Die Fachkräfte für Suchtprävention berichten ein deutlich erhöhtes Informations- und Beratungsaufkommen seitens sich sorgender Angehöriger, weiterführender Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe.
Strukturelle bzw. Verhältnisprävention
Für gelingenden Jugendschutz spielt die (sog.) Strukturelle- bzw. Verhältnisprävention eine wichtige Rolle. Zugänge zu Cannabis und dessen Konsum müssen reduziert und kontrolliert werden, zum Beispiel durch die gesetzlich vorgeschriebene Ausweispflicht (ab 18 Jahren) in Anbauvereinigungen. Werbung ist laut CanG ebenso verboten wie bekannte Strategien der freien Marktwirtschaft wie z.B. Rabatte, Gewinnspiele.
Zum Schutz von Konsumierenden und der Allgemeinbevölkerung muss eine Festlegung von Grenzwerten im Arbeitsrecht und im Arbeitsschutz erfolgen. Wie beim Alkohol muss es eine Regelung zum Führen von Maschinen und dem Betreuen von Schutzbefohlenen geben. Eine angepasste Regelung zum Führen von Kraftfahrzeugen, angelehnt an das Konzept der Promillegrenze am Steuer, ist zur weiteren Entkriminalisierung und Praxistauglichkeit notwendig.
Förderung der Lebens- und Konsumkompetenzen
Bei Jugendlichen steht die Förderung von Lebenskompetenzen als allgemeine präventive Maßnahme im Vordergrund. Dem Lernort Schule kommt dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu; einerseits mit Angeboten der schulischen Suchtprävention, andererseits mit Fortbildungen für Schulleitungen und Lehrkräfte sowie Unterstützung bei der Entwicklung eines Präventions- und Beratungskonzepts.
Eltern sind eine weitere Zielgruppe. Ziel ist es, sie mit ihren Sorgen und Ängsten zu unterstützen und im Prozess des gesellschaftlichen Wandels in Bezug auf Cannabis zu begleiten.
Die neue Zielgruppe der volljährigen Personen, die privat zu Hause Cannabis anbauen und konsumieren, benötigt Informationen über potenzielle Gefährdungen zum Schutz von Familie, Minderjährigen, Nachbarn und sich selbst sowie einen eigenverantwortlichen Konsum.
Suchtprävention ist eine Querschnittsaufgabe, und in vielen Bereichen arbeiten Präventions-fachkräfte mit Multiplikator:innen zusammen. Sie müssen in ihrer Kompetenz gestärkt und für riskante Konsummuster sensibilisiert werden. Beziehungsaufbau und -arbeit sind wesentliche Faktoren für die gelingende und nachhaltig wirksame präventive Arbeit mit jungen Menschen. Zur Umsetzung dieser Aufgaben gibt es etablierte und evaluierte Programme, die auf das Thema Cannabis übertragen werden können und vielerorts bereits angeboten werden:
- MOVE als evaluierte Fortbildung zur Erweiterung der Gesprächsführungskompetenzen.
- HaLT als fachlich etabliertes Instrument zur Kontaktaufnahme mit exzessiv konsumierenden Jugendlichen.
- FreD als Ansatz der Kurz- und Frühintervention richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, hilft zur Reflexion und Veränderung des eigenen Konsumverhaltens.
Beratung und Behandlung
Mit Beratung als professioneller Interventionsform kann eine Veränderung von Konsumgewohnheiten nachhaltig unterstützt werden. Wichtig sind hier ein leichter, niedrigschwelliger Zugang sowie digitale Beratungsprogramme wie z.B. DigiSucht und Quit the Shit. Personen mit einer Cannabiskonsumstörung benötigen oftmals auch therapeutische Unterstützung – ambulant oder stationär.
Kommunale Akteur:innen und ihre Fachkräfte
Fachkräfte in Jugendamt (u.a. Allgemeiner Sozialdienst (ASD) und Jugendgerichtshilfe (JGG) sowie Polizei- und Ordnungsbehörden haben aufgrund ihrer Arbeit eine besondere Verantwortung für das Kindeswohl in der Familie und für die Vermittlung in Hilfemaßnahmen. Sie benötigen eine ausführliche Fortbildung und umfassende Unterstützung, um den Konsum von Cannabis entsprechend bewerten zu können. Die Reduzierung von Stigmatisierung und die gleichzeitige Gewährleistung des Kindeswohls müssen neu bedacht werden.
Anbauvereinigungen
Die Präventionsarbeit in den Anbauvereinigungen beinhaltet einerseits den Kinder- und Jugendschutz und andererseits den Schutz der Mitglieder vor der Entstehung einer Suchterkrankung. Die Anbindung der Anbauvereinigungen an die Drogen- und Suchtberatung und die Fachstellen für Prävention ist deshalb unerlässlich. Die örtlichen Fachkräfte für Suchtprävention verfügen darüber hinaus über die notwendige Expertise und Vernetzung. Sie verfügen über die Qualifizierung, um die zertifizierten Schulungen durchzuführen.
Notwendigkeiten und Ausblick
Bei der Umsetzung des Cannabisgesetzes sind zum jetzigen Zeitpunkt noch viele Fragen und Zuständigkeiten offen. Auf kommunaler Ebene ist es hilfreich und notwendig, dass Akteure wie Ämter und Institutionen kooperieren und gemeinsam Handlungskonzepte erarbeiten, um vor Ort die Angebote der Suchtprävention sicherzustellen. Hier steht die Koordinierung der vorhandenen Schnittstellen und der einzelnen Bereiche wie z.B. Schule, Anbauvereinigungen, Jugendhilfe, Betriebe, Straßenverkehr und Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Die Koordination und Umsetzung der oben beschriebenen Präventionsmaßnahmen sollten bei den Expert:innen der Präventionsfachstellen und der Beratungsstellen der Suchthilfe liegen.
Die regionalen Fachstellen für Suchtprävention in NRW stehen vor neuen Herausforderungen und Bedarfen. Aus gutem Grund ist im Cannabisgesetz der Fokus auf verstärkte Suchtprävention verankert. Bei der Umsetzung führt kein Weg daran vorbei, die fachliche Expertise und Kompetenzen der regionalen Fachkräfte für Suchtprävention bei allen Entscheidungsprozessen einzubeziehen. Die Erfüllung dieser Aufgaben gelingt nur, wenn ausreichende Ressourcen im finanziellen und personellen Bereich zur Verfügung gestellt werden.
Nur unter den oben beschriebenen Voraussetzungen erscheint eine Umsetzung der regulierten Freigabe von Cannabis an Erwachsene aus suchtpräventiver Sicht verantwortbar, umsetzungsfähig und dauerhaft in die Gesellschaft integrierbar.
Das Positionspapier steht zum Download zur Verfügung.
Im Mai 2024
Autor:innen
Timo Bartkowiak, Suchthilfeverbund Duisburg e.V.
Edina Islamovic, Jugendhilfe Bottrop e.V.
Frank Langer, Suchthilfe direkt Essen gGmbH
Thomas Rehbein, Fachstelle für Suchtvorbeugung/Jugend(sucht)Beratung Wuppertal
In Kooperation mit
ginko Stiftung für Prävention
Landesfachstelle Prävention
der Suchtkooperation NRW
[i] EUSPR (2019): Position der Europäischen Gesellschaft für Präventionsforschung zu ineffektiven und potenziell schädlichen Ansätzen in der Suchtprävention. Online verfügbar unter: https://euspr.org/position-euspr-on-harmful-approaches/ (Letzter Zugriff am 18.04.2024)
[ii] Positionspapier des Initiativkreises der ambulanten Drogenhilfe NRW zur Teilhabe der ambulanten Drogenhilfe an der regulierten Freigabe von Cannabis an Erwachsene, August 2023